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»Vermutlich muss ich dir nicht sagen, dass du für dich behalten solltest, was du hier gesehen hast, oder?« …
Eine halbe Stunde später erreichte ich Glendara und das alte Reihenhaus, in dem die Kanzlei O’Keeffe & Co. untergebracht ist. O’Keefe & Co. ist meine Kanzlei, seit ich sie vor sechs Jahren von meinem Vorgänger, der in den Ruhestand gegangen war, übernommen habe. Es ist die nördlichste Kanzlei Irlands – Letzter Rechtsbeistand vor Island, wie ich am liebsten auf meinen Briefkopf setzen würde. …
Mein Name ist Ben O’Keeffe. Eigentlich Benedicta, was ich der Begeisterung meiner Eltern für eine obskure italienische Heilige aus dem fünften Jahrhundert verdanke, aber die vollständige Version kommt nur selten zum Zug. «Ben» ist ganz nach meinem Geschmack, obwohl der Name gelegentlich interessante Missverständnisse verursacht.
Leah war in die Buchhaltung vertieft, als ich die Kanzlei betrat. Leah McKinley ist meine Empfangsdame, Anwaltsgehilfin und noch vieles mehr, alles in einer Person. An einem ruhigen Nachmittag hat sie mal eine Stellenbeschreibung für ihren Job konzipiert, für jeden Buchstaben des Alphabets eine Funktion: Adjutantin, Buchhalterin, Caféhaus-Express … Sie verstehen schon, wir sind ein Zwei-Frau-Betrieb.
Molloy hatte mich gebeten, den Mund zu halten, aber ich vertraue Leah blind – zumal sie vertraglich zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Nachdem ich ihr erzählt hatte, was geschehen war, ließ ich sie mit offenem Mund sitzen und begab mich nach oben an meinen Schreibtisch.
aus: Die kalten Wasser von Donegal
Mord im hohen Norden Irlands
Das Leben von Ben O’Keeffe ist eine Lüge. Sie ist Juristin, doch sie gab ihren Job (und ihre Karriere) in einer der größten Anwaltskanzleien Dublins auf, nahm den Mädchennamen ihrer Mutter an und beschloss außerdem, von nun an ihren zweiten Vornamen zu nutzen. zufällig las sie eine Anzeige über eine Kanzlei irgendwo in Inishowen weit weg von Dublin. Klartext: sie ist geflohen.
Ben ist überzeugt, dass sie für den Tod ihrer Schwester und das ganze Elend, das ihre Eltern seither ertragen müssen, verantwortlich ist. Sie hat Angst davor, ihre Eltern zu besuchen, die immer noch in Dublin leben. Obwohl der Liebhaber ihrer Schwester, mit dem Ben zuvor eine Beziehung hatte, vor acht Jahren wegen Totschlags verurteilt wurde, nahm die Geschichte für Ben und ihre Eltern nie ein Ende. Besonders ihre Mutter ist überzeugt, dass es sich um Mord handelte und der Fall wieder aufgenommen werden sollte. Ben besitzt ein paar kritische Informationen über den Fall, die sie niemals an ihre Eltern weitergegeben hat, um sie vor einigen grausamen Wahrheiten zu schützen – und sie wäre über eine Wiederaufnahme nicht glücklich.
Ben selbst spricht nie über ihre Vergangenheit. Sie ist nicht in der Lage, eine Beziehung aufzubauen. Wann immer die Vergangenheit sie einzuholen scheint (oder irgendetwas anderes – ein Fall, ein Mysterium, ein Mord – sie in den Wahnsinn treibt), rast sie zum Strand, egal was für eine Jahreszeit, und schwimmt ein paar Züge im wilden, eiskalten Atlantik. Doch das löst die Probleme natürlich nicht. Schließlich wird der Liebhaber ihrer Schwester auf Bewährung freigelassen und macht sie in Inishowen ausfindig. Er taucht vor ihrer Haustür auf, und über mehrere Romane verteilt entwickelt sich ein kleiner, blutiger Rachefeldzug.
Ich möchte noch hinzufügen, dass eine charakteristische Eigenschaft von Ben ihre Neugierde ist. Stellt euch also eine Anwältin vor, die berufsbedingt viele vertrauliche Informationen erfährt, die unfreiwillig in kriminelle Machenschaften verwickelt wird, die immer eng mit der örtlichen Polizei zusammenarbeitet und daneben nur zu gern Geheimnisse lüftet, auf die sie zufällig zu stoßen scheint. Inishowen ist eine Gemeinschaft, in der alle über alle bescheid wissen und familiäre Hinterlassenschaften von Generation zu Generation weitergegeben werden. Ben ist immer damit beschäftigt, alles über jeden zu erfahren, in jeder Schublade herumzuschnüffeln, ohne selbst auch nur Details ihrer eigenen Vergangenheit preiszugeben. Sie ist eine richtige kleine Nervensäge.
In diesem sozialen Umfeld sterben Menschen, Menschen verschwinden, Knochen tauchen nach Jahrzehnten auf, in denen sie in der Erde vergraben waren. Manchmal war die IRA in der Vergangenheit geschäftig, manchmal mussten Liebende auf ihr gemeinsames Glück verzichten. Familien versuchten, ihren Ruf zu retten – damals wie heute. Oft wurden Familien durch plötzlich auftauchende, uneheliche Kinder irritiert – damals wie heute. Rache ist allgegenwärtig, auch wenn die eigentliche Ursache aus nebliger Vergangenheit stammt. Außerdem versucht jeder, Geschäfte zu machen und Gewinne abzugreifen – damals wie heute.
Inmitten dieser alltäglichen Geschäftigkeit geschehen Morde und plötzlich gibt es immer mehr Leichen. Kollateralschäden sind unvermeidbar. Enge Straßen haben scharfe Kurven, vom Strand aus ist es nicht weit zu gefährlichen Strömungen, steile Klippen provozieren Abstürze. Kurzum: genügend Orte und Möglichkeiten für das Töten von Menschen und für einen Versuch, es wie einen unglücklichen Unfall aussehen zu lassen.
Die Polizei ist chronisch unterbesetzt, aber wachsam. Ben ist oft zu neugierig, aber sie zwingt letztendlich die Polizei dazu, aktiv zu werden. Ihr Gegenpart und Freund bei der Polizei ist Tom Molloy. Seit Ben in Inishowen angekommen ist, arbeiten sie zusammen, obwohl Molloy oft versucht, sie von Verbrechen fernzuhalten. Natürlich entwickelt sich ihre Beziehung weiter und … eine Zeit lang passiert nichts! Keine wirkliche On-Off-Beziehung, aber schließlich scheinen sie doch zueinander zu finden. Vergesst nie Bens Vergangenheit und ihre Angst, sich auf eine neue Beziehung einzulassen.
Während der acht Jahre, die Ben inzwischen in Inishowen lebt, hat sich eine kleine Gruppe von Freunden um sie herum gebildet, obwohl sie als Neuankömmling irgendwie immer außen vor bleiben wird. Da ist ihre “Partnerin” Leah, die sich um das Tagesgeschäft in der Praxis kümmert. Ihre beste Freundin ist Maeve, die örtliche Tierärztin, und da ist Phyllis aus dem Buchladen. Dann gibt es Leute in im Pub … Ben ist nicht allein, aber gleichzeitig bleibt sie auch immer ein wenig einsam.
Was noch?
Trotz des rauen Wetters in Inishowen und der langen Strecken fährt Ben ein kleines und altes Auto. Ist es zuverlässig?
… und sie hat eine Katze!