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Während seines Aufenthaltes in Paris, damals vor Jahrzehnten, hatte er sich an den wöchentlichen Episoden eines Monsieur Sim in der Zeitung L’Oeuvre erfreut. Sie schilderten die Ermittlungen eines Kommissars der Pariser Polizei, der in der Lage war, die kompliziertesten Fälle mit Hilfe von nichts Tödlicherem als einer Tabakpfeife zu lösen.
Als er nach Vietnam kam, war Siri mehr als erfreut zu erfahren, dass Monsieur Sim inzwischen unter seinem vollen Namen Simenon schrieb und dass die Fälle von Kommissar Maigret nun als Bücher erschienen. Die Franzosen in Saigon hatten Regale voll von ihnen, und eine Reihe Bücher fand auch ihren Weg in den Norden, um von den kommunistischen Kadern gelesen zu werden, die ihre prägenden Jahre in Frankreich verbracht hatten.
Siri war in der Lage gewesen, die meisten Fälle zu lösen, lange bevor der Detektiv sie im Griff hatte – und er rauchte nicht einmal. Jetzt, unter den schwankenden Ästen des Samsa-Baums, fühlte er eine Art Verschmelzung. Der Gerichtsmediziner und der Detektiv in ihm wurden eins. Er mochte das Gefühl, mochte es, wie es sich anfühlte. Für einen Mann in den 70ern musste jede Stimulation, sollte sie so freundlich sein, sich zu bieten, mit beiden Händen ergriffen werden.
aus: Dr. Siri und seine Toten
(eigene Übersetzung)
Der einzige und einzigartige amtliche Leichenbeschauer von Laos
Erinnert ihr euch noch an den Vietnamkrieg? Dieser Krieg, der sich über Kambodscha, Laos … ausbreitete? 1975 war der Krieg – offiziell – beendet, weil sich die US-Armee aus der Region zurückzog. Wie auch immer, danach gab es noch ein paar Revolutionen: In Laos übernahm der kommunistische Pathet Lao die Regierung und erklärte die Demokratische Volksrepublik Laos als begründet. Als Folge davon flohen viele aus dem Land, insbesondere die Bildungselite.
Auftritt: Dr. Siri Paiboun!
Ich möchte festhalten, dass Siri zwar eine fiktive Figur ist, aber dass sein Leben und Werk mit Laos’ Revolution und Laos’ kommunistischem Staat eng verknüpft sind. Obwohl es in Laos kein Khmer-Rouge-Pol-Pot Äquivalent gab, ist keine Revolution jemals friedlich verlaufen und ihr Fall-out, der sich über die Menschen ergiesst, ist immer kritisch für Leib und Leben. Laos versuchte, ein kommunistischer Musterknabe zu werden, aber Verbrechen ist das ziemlich egal und sie verschwinden nicht einfach. Neben politisch und militärisch initiierten Gewalttaten ist die normale Kriminalität also immer noch überall verbreitet und ein Leichenbeschauer wie Siri hat alle Hände voll zu tun.
Nach dem Schulabschluss in Laos fand Siri einen französischen Sponsor, der es ihm erlaubte, in den 20er Jahren nach Frankreich zu gehen, um dort die Schule abzuschließen und später Medizin zu studieren. Alles war bestens und Siri machte echte Fortschritte, bis er Boua, seine zukünftige Frau, traf, die den Beruf der Krankenschwester lernte, aber eigentlich das damalige Feudalregime in Laos stürzen wollte. Boua, in eine blaublütigen adlige Familie in Laos hineingeboren, war Kommunistin, und so wurde auch Siri Kommunist.
Er beendete sein Medizinstudium und kehrte 1939 zusammen mit Boua und ihren Träumen vom Umsturz nach Laos zurück. Von da an lebten sie zusammen mit ihren Genossen im Untergrund, d. h. im Dschungel von Laos und Vietnam. Siri wurde zu einem geschätzten Arzt im Pathet Lao und rettete das Leben manch eines kommunistisches Kaders.
1975, also zum Ende des Krieges und nach dem Sieg der Revolution, ist Siri Anfang 70 und bereit für seinen Ruhestand, aber Laos braucht einen Gerichtsmediziner, weil der frühere Gerichtsmediziner es vorgezogen hat, Laos den Rüchen zu kehren. Die Partei zögert nicht lange und ernennt Siri. Was für eine Ehre!
Siri erbt auch gleich noch ein Team: Dtui (weiblich und Krankenschwester) und Geung (männlich mit Down-Syndrom), die bisher Pathologie und Forensik bzw. das Leichenschauhaus managten. Im Vergleich zu Siri haben sie einen großen Wissensschatz bzgl. Leichenbeschau. Siri passt sich – wieder einmal – seinem Schicksal an und beginnt, Detektiv zu spielen. (Ihr habt vielleicht schon vermutet, dass Siri nie ein Vollblut-Kommunist war – er wurde nur Kommunist, weil er Boua liebte. Deshalb war er oft sehr kritisch und ging immer mal wieder seinen eigenen Weg … da er aber ein begabter Chirurg war, der überall arbeiten konnte – so primitiv die Umstände auch sein mochten, war er ein verdientes und geschätztes Parteimitglied.)
Sein Chef ist Richter Haeng, ein kommunistischer Aufsteiger, jung, ein Theoretiker… Es gibt immer wieder intern kleine Machtkämpfe, bei denen Siri als Sieger hervorgeht – natürlich. Richter Haeng ist jedoch engstirnig und intrigant. Einmal gelingt es ihm sogar, Geung verschleppen zu lassen und tief im Norden auszusetzen, weil er ihn wegen seines Down-Syndromes loswerden will. (Geung wird gerettet bzw. rettet sich selbst.) Mehr als einmal will Haeng Siri politische Sünden unterschieben, allerdings ohne Erfolg.
Ansonsten gibt es noch Phosy, einen Polizisten, der langsam Karriere macht, gern mit Siri zusammenarbeitet und von Recht und Ordnung in einem kommunistischen Laos fest überzeugt ist. Darüber hinaus ist er in Dtui verliebt, die später seine Frau wird.
Seit ihrer gemeinsamen Zeit in der kommunistischen Armee und der Partei ist Civilai Siris bester Freund und stets bereit zu helfen. So wie Siri ist Civilai durchaus kritisch unterwegs, wenn es darum geht, die Partei und ihre Pläne zu analysieren. Genosse Civilai hat es dennoch geschafft, Mitglied des Politbüros zu werden, wo er seinen Teil zu abenteuerlichen Aktionen der Partei beitrug – manchmal viel zu abenteuerliche Ansätze, aber Civilai ist ein respektierter Veteran und Kämpfer für die kommunistische Sache. Inzwischen leben beide auf ihrem wohlverdienten Altenteil und sind unantastbar geworden.
Last but not least gibt es Daeng, eine beeindruckende Frau, die später Siris zweite Ehefrau wird. (Seine Boua starb schon in den 60er Jahren.) In den letzten Romanen der Serie machen sich Siri und Daeng immer gemeinsam auf den Weg, um das Verbrechen zu bekämpfen.
Welche Verbrechen?
Es ist alles da, von Mord bis Entführung. Verbrechen in einem kommunistischen Land unterscheiden sich nicht von Verbrechen in kapitalistischen Ländern. Allerdings sind die Möglichkeiten zur Aufklärung der Verbrechen stark eingeschränkt. Laos ist in den 70er Jahren ein armes Land, das durch den Krieg verwüstet und entvölkert wurde. Es gibt fast keine Infrastruktur, ob Straßen, ob Züge, ob Telekommunikation … Es ist schwierig, Verbrechen aufzuklären. Stellt euch vor, wie ein Giftmord ohne Analysegeräte nur mit einem Chemiebaukasten aus der Schule nachgewiesen werden kann.
Zurück zu den Verbrechen: Ehemänner ermorden ihre Frauen. Agenten aus kommunistischen Nachbarländern, die zu viel wissen, werden entsorgt. Mumifizierte Körperteile ragen plötzlich aus der Erde. Zettel, die mit unsichtbarer Tinte beschrieben wurden, finden sich in der Kleidung eines Unfallopfers. Junge Frauen werden erwürgt und andere werden erstochen. Vermisste US-Piloten… noch mehr Knochen aus notdürftigen Gräbern … usw.
Die Verbrechen sind trivial und knifflig zugleich. Oftmals stecken viel mehr Verbrechen und Intrigen hinter einer einzigen Leiche, die in Siris Leichenhalle landet, als es auf den ersten Blick scheint.
Siri gelingt es immer, Parteimitgliedern, sonstigen Genossen, der Polizei, der Armee … auf die Zehen zu treten. Jedes Clübchen hat seine Geheimnisse und ist oft nicht daran interessiert, Verbrechen aufzuklären, besonders wenn es sich um Kollateralschäden geheimer Operationen handelt. Und außerdem ist da immer wieder Richter Haeng, der in seinen Statistiken eine extrem niedrige Kriminalitätsrate ausweisen will.
Wenn ich an die Serie als Ganzes denke, ist es so, dass Siris Geschichte im Laufe der Jahre viel interessanter ist als die Verbrechen, die passieren. Ein beträchtlicher Teil jedes Romans befasst sich mit Siris Leben und dem Leben seiner Freunde, die ich bereits erwähnt habe.
Für seine Bemühungen und Erfolge wird Siri mit einem eigenen Haus belohnt – und langsam füllt sich dieses Haus mit weiteren außergewöhnlichen Menschen, bizarren Menschen, Exzentrikern, verdammten Menschen … Siri und seine Frau Daeng heißen alle willkommen – ob ehemaliger buddhistischer Mönch oder Transvestit oder wer-auch-immer. All diese Menschen nehmen an Siris Abenteuern teil und beim Lesen der Romane werdet ihr von diesem kleinen Universum fasziniert sein.
Der laotische Kommunismus, wie er in den Romanen geschildert wird, ist ein sanfter Kommunismus. Alle Menschen akzeptieren, dass es so ist, wie es ist. Alle versuchen, weiterzuleben und ihr Leben zu verbessern. Alle sind … fröhlich, gutmütig, glücklich, humorvoll – außer hartgesottenen Karrieristen im kommunistischen System. Alle Abenteuer von Siri & Co., so grausam sie auch sein mögen, werden in einem Stil erzählt, der uns von Anfang an lächeln lässt … auch wenn Siri bei einem offiziellen Besuch in Kambodscha entführt wird und in einem Folterkeller landet.
Vor allem die Meetings bzw. Mittagspausen, die Siri und Civilai gemeinsam verbringen, sind ein Highlight für sich. Die Spuren von Sarkasmus und die subtile Ironie, die sie über Jahrzehnte entwickelt haben, als sie im Untergrund gegen den Kapitalismus sowie die kommunistische reine Lehre und die linientreue Engstirnigkeit kämpften, haben das Freundespaar geprägt. Der Autor ist ein Meister darin, all die kleinen Geschichten mit einem Lächeln in einer schlanken, humorvollen Sprache zu erzählen.
… und da ist natürlich noch die Übersinnlichkeit. Siri hat immer wieder seine Visionen, seine Tagträume, seine Alpträume … Oft besuchen ihn Tote, was fast immer bei der Aufklärung des Verbrechens hilft. Manchmal denke ich, dass es am südostasiatischen Lebensstil, seinen Religionen und ihrer spirituellen Vergangenheit mit diesen vielen Göttern und Dämonen liegt, dass Siri glaubt, dass er Teil dieser spirituellen Welt ist. Ob es dir nun gefällt oder nicht: Es ist Teil der Romanserie – und es passt schon irgendwie.
Lohnt es sich, Siris Abenteuer zu lesen? Ich glaube schon. Es ist diese Mischung aus oft trostloser Realität, gespickt mit Kriminalität, und den Menschen, die das Beste aus allem machen.