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Capitano Giulio Bardi, Dienststellenleiter der Carabiniere-Wache von San Pietro, saß zur morgendlichen Rasur beim Barbier seines Vertrauens, als ein lautes metallisches Scheppern durch die Gassen des Städtchen hallte.
Giovanni, der Barbier, der soeben noch mit dem feierlichen Ernst eines Bildhauers Bardis Wangen abgeschabt hatte, wischte die Klinge des Rasiermessers an seiner weißen Schürze ab und warf seinem Kunden einen verschwörerischen Blick zu. Dann eilte er mit ausladenden Schritten zur Ladentür, um zu sehen, was geschehen war. …
»Der Lärm rührt von der Piazza her, Capitano«, rief er Sekunden später von der Gasse in seinen Salon. …
Seufzend nahm Bari eines der Handtücher vom Stapel unter dem Frisierspiegel und wischte sich die Rasierseife aus dem Gesicht. …
»Die Rasur muss warten«, erklärte Bardi und gab dem Barbier das Handtuch, das er noch in der Hand hielt.
»Und der Kaffee auch«, rief er dem Barista der Bar Puccini zu, die sich neben Giovannis Salon befand. Normalerweise pflegte Bardi dort am Tresen ein schnelles Frühstück einzunehmen, bestehen aus einem starken Espresso und einem mit Aprikosenmarmelade gefüllten Cornetto.
aus: Perdita – Sünden der Vergangenheit
Das gute Leben in der Toskana
Capitano Giulio Bardi hat eigentlich ein ganz geruhsames Leben. Er ist Herr der Carabinieri-Station in einem idyllischen Marktflecken in der Toskana, den Touristen schon entdeckt haben, der aber nicht täglich von Touristen überflutet wird (wie es scheint). Seine Wache besteht aus ihm und einem jungen Carabinieri, der gerade seine Ausbildung abgeschlossen hat und mit Eifer ans Werk geht – manchmal mit etwas zuviel Eifer.
Bardi hat eine kleine Wohnung über seiner Wache mit einem Dachgarten, der ihm einen Blick über die Stadt und die schöne Umgebung bietet. Er liebt es hier mittags und abends zu sitzen, zu essen und ein Glas Wein zu trinken. Bardi kocht übrigens selbst – und gar nicht so schlecht wie es scheint. Er ist Anfang fünfzig und … allein … auf der Suche …
Seine Ehe ist in die Brüche gegangen, als er noch in Rom tätig war und seine Karriere verfolgte: ein Leben als Workaholic, immer stärker gekennzeichnet von den Enttäuschungen der täglichen Polizeiarbeit. Bei einem Attentat auf einen Politiker, den er mit seinem Team beschützen sollte, hat er versagt – zumindest sieht er es so. Es gab damals einen Toten, einen kleinen Jungen, dessen Tod Bardi nicht ruhen lässt. Er hatte sich an diesem Fall festgebissen. Seine Frau hat ihn schließlich mit der kleinen Tochter verlassen und lebt jetzt in Kalifornien. Bardi ließ sich in die tiefste Provinz versetzen, um seine Wunden zu lecken, und wurde hier … glücklich. Nun – er ist natürlich immer noch davon beseelt, den Auftraggeber des Attentats zur Rechenschaft zu ziehen.
Er hat wenig Kontakt zu seiner Frau und seiner Tochter, bis sich durch Zufall … Seine Tochter, schon fast erwachsen, beschließt danach für ein Jahr in der Toskana bei ihrem Vater zu leben. Sie kommen beide recht gut klar, auch wenn seine Tochter ihre Teenagerallüren pflegt. Natürlich wird sie unschuldig in ein Verbrechen verwickelt.
Ich war ganz angetan von der Serie, die zur Abwechslung mal nicht in Südfrankreich spielt, sondern sich eine schöne italienische Landschaft ausgesucht hat. Es kamen Erinnerungen an einen Toskana-Urlaub vor ein paar Jahren hoch … Die Leckereien, die Bardi gern auftischt … Das Klima …
Doch zurück zum Thema: Mord!
Auch in der Toskana wird gemordet. Auch in der Toskana, wenn auch eher im Norden Italiens gelegen, agiert die Mafia bzw. einer ihrer Ableger. (Bardi stammt aus Sizilien und kennt sich da aus.) Auch in der Toskana gibt es Lokal- und Regionalpolitiker, die ihre eigenen Ziele verfolgen und vor allem darauf aus sind, ihren Reichtum und ihren Einfluss zu mehren.
Kurz: Es ist in der Toskana wie überall in Italien … (ich weiß, wir sprechen in Klischees!).
Bardi operiert selten allein und selbstständig, obwohl er aufgrund seiner Vergangenheit und beruflichen Erfahrung durchaus fähig wäre, selbst eine Ermittlung mit einem großen Team zu leiten. Florenz ist nah und die Kollegen von der Kriminalpolizei in Florenz sind immer recht schnell zur Stelle. Das ist offiziell so geregelt.
Bisher musste sich Bardi in seinen Fällen mit sehr speziellen Vorfällen aus der jüngsten Vergangenheit der katholischen Kirche beschäftigen, die immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Nachwehen der Roten Brigaden gingen nicht an San Pietro vorüber. Es gibt die üblichen Mafia-Geschäfte, investigativen Journalismus, der tödlich enden kann, Umweltvergehen, einen großangelegte Betrugsfall … Im beschaulichen San Pietro ballt sich mehr kriminelle Energie und finden sich mehr Leichen im Keller, als sich Bardi vorgestellt hat.
Bardi ist in San Pietro beliebt und lebt gern in seinem Mikrokosmos mit seiner Wache, seinem Assistenten, seinem Barbier, seinem Obst- und Gemüsehändler und all den anderen Einwohnern, die sich im Zentrum tummeln – nicht zu vergessen: interessante Frauen. Sein Gegenspieler ist der Bürgermeister, der seine eigenen Interessen verfolgt und sich am liebsten Bardi zu Diensten machen würde, wenn Bardi denn mitspielte.
Bardis Verhältnis zu den Kollegen der Kriminalpolizei in Florenz ist manchmal gut und manchmal schlecht. Sie lieben es nicht, wenn er ihnen ins Handwerk pfuscht – er liebt es nicht, wenn er übergangen wird und seine Hinweise ignoriert werden. Am Ende arrangiert man sich.
… und immer wieder taucht die Erinnerung an jenes Attentat in Bardis Kopf auf, an den toten Jungen, an den Auftraggeber, der die Autobombe installieren ließ. Bardi weiß, um wen es sich handelt, wie alle anderen, die den Fall untersucht haben, aber es gab keine Beweise. Die Mafia weiß sich zu schützen. Bardi lässt aber nicht locker und versucht immer wieder, etwas zu finden.
Die Romane geben Bardis Leben wieder – behutsam und sacht. Die Fälle spiegeln aktuelle Ereignisse wider. Ist das alles “italienisch”? Ich denke, es ist so “italienisch” wie andere Serien “französisch” sind, wenn sie von deutschen Autoren geschrieben werden. Hier wie dort kann man als Leser abtauchen in eine idyllische Landschaft mit weltbekannter Küche und sich behutsamen Nervenkitzel gönnen.