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Da man hier in Venedig war, kam die Polizei mit dem Boot, das Blaulicht blitzte auf dem vorderen Kabinendach. Das Boot legte in einem kleinen Seitenkanal hinter dem Theater an, und vier Männer sprangen heraus, drei in blauer Uniform und einer in Zivil. Rasch gingen sie die enge Gasse am Theater entlang zum Bühneneingang, wo der Portier, der über ihre Ankunft informiert worden war, mit einem Knopfdruck das Drehkreuz freigab, das ihnen Zugang zum hinteren Teil des Theaters verschaffte. Schweigend deutete er auf eine Treppe.
Oben empfing sie der noch immer wie betäubt wirkende Fasini. Er streckte schon die Hand aus, um den Mann in Zivil zu begrüßen, der offenbar das Kommando führte, vergaß es dann aber wieder, drehte sich rasch um, murmelte »Hier entlang« und ging durch den schmalen Korridor voraus. An der Garderobentür hielt er inne und deutete wortlos nach drinnen.
Guido Brunetti, ein Commissario aus der Questura, trat als erster ein. Als er den leblosen Körper im Sessel sah, hob er die Hand und bedeutete den Uniformierten zurückzubleiben. Der Mann im Sessel war eindeutig tot. Nach einem Lebenszeichen musste man an diesem verkrampft nach hinten gereckten Körper mit den grausig verzerrten Gesichtszügen nicht mehr suchen.
Das Gesicht des Toten war Brunetti so vertraut wie den meisten Menschen der westlichen Welt. Auch wer diesen Mann nie selbst am Pult gesehen hatte, kannte sein Gesicht mit dem gemeißelten germanischen Kinn und dem etwas zu langen, auch mit über sechzig noch rabenschwarzen Haar seit vier Jahrzehnten von den Titelseiten der Zeitschriften und Zeitungen.
aus: Venezianisches Finale
Das Ewige Venedig
Il Commissario Guido Brunetti ist einer der eifrigsten und gleichzeitig in sich ruhenden Polizisten bzw. Detektive. Er lebt in Venedig, liebt Venedig und sein privates wie auch sein berufliches Leben. Alles scheint wie ein recht kleines Universum, das über die Jahre bzw. Jahrzehnte keine Veränderungen zu erfahren scheint.
Wie sieht es mit seinen Mordfällen aus? Bei den meisten Fällen handelt es sich um Morde, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen – selbst wenn die Opfer nur der Oberschicht bzw. der oberen Mittelschicht Venedigs entstammen.
Die Fälle passen in Brunetti kleine Welt; il commissario ermittelt, aber er verlässt sein kleines Universum nicht. Er löst seine Fälle, aber nichts stört seine Ruhe, obwohl er manchmal intensiv über seine Erlebnisse und Erkenntnisse nachdenkt – vielleicht lieben die Leser deshalb die Brunetti-Romane so sehr.
Ein weiterer Grund für die Popularität liegt eindeutig an der Wahl des Tatorts: Venedig, La Serenissima, diese Stadt voller Geschichte und Geschichten über Macht, Intrigen und Verrat, Reichtum und Unternehmertum, aber auch Trauer und eine gewisse Fin de Siècle-Stimmung. Es ist einfach einer jener unsterblichen Schauplatz für jede Art von Drama, einschließlich Mord und moderne Kriminalromane.
Ich erinnere mich gut daran, wie ich die Romane gelesen habe, als die Serie begann – und dann war da natürlich noch die TV-Serie (gedreht und gepflegt in Deutschland). Immer blieb eine gewisse Sehnsucht zurück, Venedig zu besuchen, durch die Kanäle zu gleiten, Espresso auf der Piazza San Marco zu trinken, il Ponte dei Sospiri, die Seufzerbrücke, zu überqueren … Vielleicht liegt die Ursache für die unverschleierte Verehrung der Stadt in den Romanen bei der Herkunft der Autorin, einer gebürtigen Amerikanerin. Im Vergleich zu Il commissario Montalbano aus Sizilien, die die Sonne und den Staub Süditaliens atmen und das Leben und die Versuchungen eines jeden, vor allem der etablierten Familien des organisierten Verbrechens, erzählen … Sagen wir einfach, dass Brunetti etwas Besonderes ist und dass die Lektüre seiner Fälle immer gute Unterhaltung ist.
Was hat es nun mit Brunettis Universum auf sich?
Da ist einmal sein Berufsleben, das mit einem Espresso und einem kleinen Croissant am Morgen beginnt. Daneben die Diskussion von Fortschritten aller akuten Fälle mit seinem Assistenten und Freund Vianello, der Brunetti immer loyal zur Seite steht. Es gibt die unvermeidliche Rücksprache mit la signorina Elettra, die ein Genie in allen Aspekten der IT und der Nachforschung ist und die dabei völlig skrupellos am Rande der Legalität agiert.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich die nervigen Kollegen, die Brunetti am liebsten einen Dolch in den Rücken rammen würden – bildlich gesprochen natürlich. Es ist an dieser Stelle nicht notwendig, Details über Scarpa oder Alvise oder … zu verraten, denn Brunetti ist am Ende immer der Held.
Über allen von ihnen schwebt il vice questore Patta. Er ist nicht in Venedig geboren oder aufgewachsen, sondern in Süditalien und wurde nach Venedig versetzt, ohne große Fähigkeiten als Polizist oder Detektiv gezeigt zu haben, jedoch mit guten Beziehungen zu Politikern in Rom und einem außergewöhnlichen politischen Instinkt. Brunetti muss immer wieder die gefährlichen Klippen umschiffen, die sich aus den Ideen und persönlichen Projekten Pattas plötzlich ergeben.
Patta respektiert Brunetti vor allem wegen seiner Beziehungen zur venezianischen Gesellschaft. Il commissario ist immerhin der Schwiegersohn eines echten conte, il conte Falier, Nachkomme einer alteingesessenen Familie mit einem eigenen Palazzo und Vermögen. Auf diese Weise nähern wird uns jetzt der Familie Brunetti.
Brunetti, obwohl aus bescheidenen Verhältnissen stammend, traf irgendwann einmal Paola, die Tochter und das einzige Kind von il conte Falier, sie verliebten sich und heirateten. Sie haben zwei Kinder, eine Wohnung im Herzen von Venedig mit Blick auf die Stadt und die Kanäle und ein glückliches Familienleben.
Paola ist Professorin für Englische Literatur an der Universität und hat sich auf die Werke von Henry James spezialisiert. Brunetti liest gerne klassische griechische Literatur. Beide sind – manchmal – auf einem hohen intellektuellen Niveau unterwegs. Alltäglich sind die gemeinsamen Mahlzeiten mit den Kindern, die zur Schule gehen bzw. inzwischen die Universität besuchen und in einem Alter sind, in dem sie – manchmal – Ärger machen. Ich bewundere immer wieder Paola, die in kürzester Zeit ein hervorragendes Drei-Gänge-Menü aus dem Nichts zaubern kann.
Die familiäre Verbundenheit mit dem venezianischen Adel hat ihren Preis, denn mehr als einmal wird Brunetti gebeten, einem Geschäftsfreund seines Schwiegervaters oder einer lieben Freundin seiner Schwiegermutter zu helfen, wenn sich Ärger am Horizont abzeichnet, der meist von Verwandten verursacht wird. Brunetti recherchiert, wann immer es möglich ist, in dem Wissen, dass Patta wegen des gesellschaftlichen Hintergrunds die Augen verschliessen wird.
Zum Schluss möchte ich festhalten, dass in den Romanen jede Art von Verbrechen zu finden ist: Mord, Raub, Kindesmissbrauch, Menschenhandel, illegale Prostitution, Geldwäsche, Betrug, Umweltverschmutzung … Irgendwie ist all das mit Venedig, seiner städtischen Entwicklung der letzten Jahre und seiner Gesellschaft verwoben – und Brunetti muss sich um all das kümmern, was allerdings nicht bedeutet, dass am Ende immer ein Schuldiger gefunden und verurteilt wird.