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«Morgen werde ich zurücktreten”, sagte Īkmen. “Ich will mich nicht in der gleichen Hölle wiederfinden wie die arme Teker, die das im Moment durchmacht.»
«Du weißt Bescheid?»
Er nickte. «Was ich vorhabe, ist ein Spiel mit dem Glück. Ich weiß, dass man meinen Rücktritt will, aber ob sie mich mit meiner Pension und meiner Freiheit davonkommen lassen, weiß ich nicht.»
«Sie müssen dir deine Pension geben!»
Er lachte. «Mehmet, sie müssen gar nichts.» Sein Gesicht wurde ernst. «Aber selbst wenn sie sie mir verweigern, kann ich noch arbeiten. Und wenn sie mich einsperren, nun, die Wohnung ist abbezahlt und unsere Kinder werden Fatma nicht verhungern lassen. Was in unserer Polizei passiert, ist nicht richtig. Leute mischen sich in unsere Arbeit ein.»
«Ich glaube auch nicht, dass es richtig ist.»
«Ja, aber im Moment bist du der osmanische Goldjunge. Sie werden dir nichts tun.»
«Ich weiß», sagte Süleyman. «Und das ist auch abscheulich. Ich bin kein Osmane. Die sind alle tot und vergangen. Ich bin auch kein Neo-Osmane, denn mit all dem wieder zu beginnen, heißt auch, die Fehler des Osmanischen Reichs zu wiederholen, und die waren Legion.» …
«Das ist aber so etwas wie ein Schock», sagte Ozer, als er auf das Rücktrittsgesuch zeigte. «Ich hoffe, es hat nichts mit dem Rücktritt meines Vorgängers zu tun?»
«Nicht direkt, nein, Sir», sagte Īkmen. «Ich hatte eine gute Zusammenarbeit mit Kommissar Teker, aber….» ….
Īkmen hatte an diesem Morgen Männer in Turbanen und Roben gesehen, die sich in Ozers Büro drängten. Er hatte sie einmal gesehen, wie sie versuchten, einen Termin mit Teker zu vereinbaren. Aber sie hatte immer die Rezeption angewiesen, solchen Leuten zu sagen, dass sie nicht da war. …
«Çetin Bey, Sie müssen vielleicht bei der bevorstehenden Untersuchung meines Vorgängers aussagen», sagte Ozer. …
«Ja», sagte Īkmen. «Und ich hatte nicht ein einziges Mal Grund zu der Annahme, dass Kommissar Teker korrupt war. Ich kann heute eine entsprechende Erklärung für Sie abgeben.» …
«Das wird nicht nötig sein», sagte er. «Wir werden Sie kontaktieren, wenn wir Ihren Input brauchen.» …
Als Īkmen das Büro von Ozer verließ, fragte er sich, wie lange es dauern würde, bis seine Rente abhängig davon sein würde, ob er sagte, was sie von ihm über Teker hören wollten.
aus: Incorruptible
(eigene Übersetzung)
Mord in einer multikulturellen Metropole
Als Çetin Īkmen und Mehmet Süleyman literarisch das Licht der Welt erblicken und an ihrem ersten Fall in Istanbul arbeiten, ist Īkmen gerade mal vierzig Jahre und Süleyman ist vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt. In den nächsten zwanzig Jahren werden sie in einer der ältesten und geheimnisvollsten Metropolen der Welt immer wieder mit Betrug und Mord, Erpressung und Totschlag, Folter und anderen Grausamkeiten konfrontiert.
Die in Jahrhunderten gewachsene Stadt trifft auf das moderne Istanbul, eine Region mit etwa fünfzehn Millionen Einwohnern; unvorstellbar reiche Bürger treffen auf erbarmungswürdig arme Menschen, Stadtviertel, bewohnt von islamischen Fundamentalisten grenzen an Plätze, wo in Bars reichlich Alkohol ausgeschenkt wird. Alle Religionen der Welt scheinen vertreten zu sein und immer bereit, Unruhe zu stiften. In jedem Roman taucht der Leser tief in den Schmelztiegel Istanbul und seine Geheimnisse ein: es präsentiert sich immer eine neue Facette der modernen und alten Türkei.
Ich war wirklich beeindruckt von den Büchern, weil sie so geradeheraus etwa zwanzig Jahre abdecken, in denen die Protagonisten älter und weiser werden – nun, nicht immer! Insbesondere die politischen Veränderungen in der Türkei, obwohl sie langsam und minimalistisch voranzuschreiten scheinen, werden einbezogen und tragen zur Kontinuität der gesellschaftlichen Entwicklung bei. Īkmen und Süleyman haben nicht nur mit Mördern, Kriminellen jeder Couleur und allgegenwärtiger Korruption zu kämpfen, sondern auch mit den politischen Veränderungen, Flüchtlingen aus den Bürgerkriegsregionen und religiös motivierten Kämpfern.
Zurück zu Īkmen und Süleyman, Inspektoren der istanbuler Polizei, die sich von ihrer Herkunft und ihrem Hintergrund her deutlich unterscheiden.
Īkmen ist ein Kind der Atatürk-Republik, ein Atheist, der aber dennoch glücklich mit einer streng muslimischen Frau verheiratet ist. Sie haben neun Kinder; eines von ihnen wählte den falschen Weg, endete als Krimineller und fand den Tod. Īkmen (sowie Süleyman) ist ein starker Raucher und beschließt seinen Tag gern immer mit einem oder mehren Gläsern Brandy. Übrigens: Er freundet sich mit einer streunenden Katze in seiner Lieblingsbar an – Marlboro leistet ihm gern Gesellschaft und liebt noch mehr die Snacks, mit denen er gefüttert wird.
Süleyman ist der Nachkomme einer früheren osmanischen Adelsfamilie, wenn auch nicht mit Reichtum gesegnet. Er sieht gut aus, war zweimal verheiratet und hat einen Sohn, der mit seiner Mutter (Frau Nummer zwei) weit entfernt von Istanbul lebt. Süleyman lebt inzwischen mit seinem Geliebten zusammen, einer Künstlerin und Zigeunerin; er ist sexbesessen und hat viele kurzlebige Affären.
Beide Männer widmen sich mit Hingabe ihrer Arbeit bei der Polizei und tun alles, um Schuldige hinter Gitter zu bringen. Sie sind unbestechlich – und das ist ein wesentlicher Unterschied zu ihren Kollegen und der gesamten öffentlichen Verwaltung.
Um Īkmen und Süleyman herum gibt es Sergeants – sie kommen, sie gehen, sie werden während ihres Dienstes getötet. Beide haben keine Bedenken, mit Kurden, Armeniern, Jesidis, Schwulen… zusammenzuarbeiten – was nicht so selbstverständlich ist, denn der sich immer stärker entwickelnde religiös geprägte Hintergrund in der Türkei fordert seinen Tribut. Auch ihr Chef unterstützt sie immer – außer wenn aus politischen Gründen plötzlich ein neuer Chef auftaucht, der seine eigenen Vorstellungen hat… (siehe Zitat). Gerade in den letzten Romanen wird der wachsende, muslimische Einfluss in allen Lebensbereichen deutlich.
Während ihrer gemeinsamen Zeit bei der Polizei werden zahlreiche Verbrechen von ihnen untersucht. Ein Mord ist oft nur der Anfang einer langen Suche nach der Wahrheit und den Schuldigen. In einer Metropole wie Istanbul treffen sie immer wieder auf grenzenlose Grausamkeit, wenn Menschen ihre Hand nach Geld und Vermögen ausstrecken oder Rache suchen. In Istanbul gibt es mehr als genug kulturelles Konfliktpotenzial: Es gibt moderne Türken und Traditionalisten; es gibt westlich orientierte Türken, die Alkohol trinken und rauchen, und es gibt gläubige Muslime; es gibt Frauen in Minirock und Frauen, die von Kopf bis Fuß verschleiert sind. Es gibt Türken, es gibt Armenier, Juden, Jesidi, Kurden, Zigeuner – und immer mehr Syrer, Iraker, Flüchtlinge, Gotteskrieger. Es gibt Türken, die immer in einer Stadt gelebt haben, und Türken aus abgelegenen Regionen mit minimaler Infrastruktur, die in einer Stadt schlicht überfordert sind. Es gibt überall die Familien mit ihren eigenen Regeln. Es ist ein unüberschaubarer Schmelztiegel und das Verbrechen ist allgegenwärtig.
Aus der Perspektive eines Europäers wirkt Istanbul wie eine Gesellschaft fernab vom gewohnten Leben und dem Alltag dahinter, voller fremd wirkender Rituale und mystischer Tiefe. Dieses geheimnisvolle Istanbul ist immer irgendwie mit der Geschichte in jedem Roman verknüpft und genau das macht die Geschichten so faszinierend. Ich bezweifle, dass die Serie ohne Istanbul als Schauplatz so erfolgreich wäre.
Das Zitat am Anfang stammt aus einem der letzten veröffentlichten Romane. Īkmen tritt zurück, geht in den Ruhestand, wie es scheint, aber es gibt immer noch viel Arbeit für Īkmen als eine Art Privatdetektiv order Polizeiberater. Die Serie wird fortgesetzt – und ich freue mich darauf.