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Quelle: pixabay
»Ich an deiner Stelle …« Sie musterte mich genauer. »Das sieht immer noch nicht gut aus in deinem Gesicht. Nacht dass es jemals wirklich gut ausgesehen hätte, du weißt schon, was ich meine. Wie hast du die beiden eigentlich in die Flucht geschlagen?«
»Mit meiner legendären Rechten.«. …
»Du bist übrigens mit Lukas M. und Marvin P. aneinander geraten. Einundzwanzig und zweiundzwanzig Jahre alt. Zwei echte Schätzchen.»
Eine Weile hatten Marie-Luise und ich eine Bürogemeinschaft gehabt. Was davor zwischen und gewesen war, war vermintes Gelände, das wir weiträumig mieden. Die Stadt war groß genug für uns beide. Während sie die Kekse in meine Bauhaus-Schale von Marianne Brandt schüttete, die bis dato noch nicht einmal ein Staubkorn hatte berühren dürfen, half sie mir auf der Suche nach den fehlenden Mosaiksteinen. …
»Ich habe mir erlaubt, bei Vaasenburg und dem Staatsanwalt als deine Anwältin vorstellig zu werden.«
Ich konnte mir denken, wie ihr Aufzug bei den zuständigen Stellen gewirkt haben musste. Sie sah immer noch aus wie eine Studentin, auch wenn sich langsam erst Fältchen um ihre Augen zeigten. Sie war meine älteste, beste, einzige Freundin. Ich war kein sozialer Mensch. Einer ihrer lobenswerten Charakterzüge war, das völlig zu ignorieren.
»Lukas und Marvin behaupten, rein zufällig vorbeigekommen zu sein, als du Scholl angegriffen hast.«
Im ersten Moment glaubte ich, sie hätte einen ihren unverständlichen Witze gemacht. Dann merkte ich, dass sie es ernst meinte.
aus: Totengebet
Der gute Rechtsanwalt von Berlin
Joachim Vernau hat sich nach oben gearbeitet, nur um dann wieder abzusteigen. Er stammt aus den Kreisen der wirklich noch hart arbeitenden Bevölkerung: sein Vater war bei der Eisenbahn. Verbau entschied sich für ein Jura-Studium, das er mit Brillanz meisterte. Schließlich bot sich die Gelegenheit, in eine renommierte Anwaltskanzlei einzusteigen. Es traf sich, dass er sich mit der Tochter des Kanzleinhabers, einer erfolgreichen, aufstrebenden Politikerin, verlobte.
Damit schien ein Märchen von sozialen Aufstieg war zu werden, wenn … wenn nicht die Familie seiner Verlobten Dreck am Stecken gehabt hätte, Leichen aus der NS-Zeit im Keller gehabt hätte …, die Vernau nicht ruhen lassen konnte. Damit endete das Märchen erst einmal.
Vernau holte tief Luft und machte sich an einen Neustart.
In den folgenden Jahren kümmert sich Vernau schon liebevoll um seine Klienten und ist immer für sie da. Er taucht gern in die Fälle ein, recherchiert herum und trifft – natürlich – auf Tote und Verbrechen. Vernau ist ein guter Mensch. Er ist intelligent und kann sehr charmant sein, aber manchmal ist er auch ein wenig zu naiv. Dies führt zu Schwierigkeiten, er kommt in Schwierigkeiten und muss immer mal wieder Prügel einstecken – manchmal lebensgefährliche Zusammentreffen mit dem Bösen.
Vernau bleibt allein. Seine Mutter, deren Freundin und Marie-Luise sind seine engsten Bezugspersonen. Ich habe mich schon gefragt, ob aus ihm und Marie-Luise nicht doch noch ein Paar wird; auch verminte Regionen kann man vorsichtig durchqueren.
Vernaus Berlin ist eine Postkartenidylle. Es gibt dieses typische Berliner Milieu mit Eckkneipen und den teils restaurierte, teils heruntergekommenen Mietshäusern – Vorkriegsware. Daneben gibt es das neue, glitzernde Berlin, wie man es sich vorstellt mit wohlhabenden Bewohnern, schnittigen Politikern, kriminellen Elementen … Mitten drin findet Vernau seine Klienten oder spezielle Klienten finden ihn.
Er residiert nicht mehr in einer stromlinigen Büroflucht mit viel Fenster, Aussicht und Designerschreibtisch, sondern eher in einem Hinterhof. Allerdings hält er Kontakt zu seiner ehemaligen Partnerin Marie-Luise, ebenso wie zu seinem alten Studienkollegen Sebastian Marquardt, dem es erheblich besser geht – finanziell, auf der Überholspur mit einer schicken, modernen Villa und überhaupt. Aber wie sich zeigt … wandelt er auf Abwegen.
Womit beschäftigt sich Vernau?
Seine Fälle berühren immer die deutsche Vergangenheit. Die NS-Zeit ist für ihn so weit entfernt. Seine Zeit als Freiwilliger in einem Kibbuz kehrt zurück und bringt ihn in Teufels Küche. Obskure Vereinigungen der Oberschicht leben Rituale aus der Vorkriegszeit. Geschehnisse aus der Zeit der Flucht und Vertreibung kommen ans Tageslicht und vieles mehr – Überbleibsel aus der jüngeren deutschen Geschichte werden vermengt mit aktuellen Entwicklungen wie Cybercrime, Bestechung, Betrug, Auftragsmord … Vernau nimmt alles persönlich, was einerseits zur Lösung der komplexen Fälle erheblich beiträgt, andererseits ihn aber auch in gefährliche Gewässer lotst. Am Ende siegt Vernau, aber er verliert auch immer etwas.
Vernau ist inzwischen Ende Vierzig, immer noch allein und sitzt immer noch in seiner kleinen, unprätentiösen Kanzlei mit Blick auf den Hinterhof. Zumindest ist er immer gut gekleidet – wenigstens in den Verfilmungen. Hoffen wir mal, dass er auch in Zukunft genug Geld verdient, um weiterzuschwimmen.