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Als sie vor mehr als zehn Jahren zum MI5 gekommen war, konzentrierte sich ihre Arbeit auf Großbritannien. Sie hatte in der Abteilung für Terrorismusbekämpfung gearbeitet, wo sie ihren ersten großen Erfolg verbuchen konnte, als sie half, einen Anschlag in East Anglia zu verhindern. Sie hatte Glück, bei dieser Operation nicht schwer verletzt zu werden, und war danach zur Gegenspionage versetzt worden, wo sich die Uhren etwas langsamer drehten. Natürlich war es kein lauer Job – es gab keine lauen Jobs im heutigen MI5.
Für die Geheimdienste hatte 9/11 alles verändert. Es gab jetzt ein stärkeres öffentliches Bewusstsein für “Sicherheitsfragen” aller Art; viel häufiger eine Einmischung der Regierung; mehr Aufmerksamkeit und Kritik in den Medien – besonders nachdem Großbritannien in den Irak-Krieg eingetreten war. Einige Kollegen, die zur gleichen Zeit wie Liz angefangen hatten, verbrachten inzwischen ihre ganze Zeit damit, sich mit Presseanfragen zu beschäftigen, Briefings für den Generaldirektor für Treffen mit Ministern zu schreiben oder über Budgetkalkulationen zu brüten und darüber mit dem Finanzministerium zu diskutieren. Das war nicht das, was sie tun wollte. Gelegentlich eine internationale Sicherheitskonferenz reichte ihr völlig aus.
Aber sie wusste, dass sie, wenn sie ernsthaft Karriere machen wollte, früher oder später den aktiven Dienst verlassen musste; im Moment wollte sie jedoch noch an vorderster Front bleiben. Es war die Spannung in der operativen Arbeit, die sie liebte; das war es, was sie morgens aus dem Bett aufstehen ließ und sie tagsüber und oft bis weit in die Nacht hinein fesselte. Es war aber auch, wenn sie ehrlich war, was ihr Privatleben immer wieder zerstört hatte.
aus „Rip Tide“ (eigene Übersetzung)
Vom Leben mit dem Risiko
Wenn jemand Liz Carlyle fragt, wo sie arbeitet, gibt sie immer die gleiche Antwort: “Ich arbeite in der Personalabteilung des Innenministeriums. Ein ziemlich langweiliger Job, aber ich kann davon leben.” (Übrigens: Wenn jemand Peggy Kinsolving, eine Kollegin von Liz, fragen sollte, antwortet sie genau das gleiche, außer dass sie das Verteidigungsministerium referenziert.) Beide können sicher sein, dass sich niemand für langweilige HR-Jobs interessiert und weitere Fragen stellen wird.
Natürlich ist das alles Tarnung. Beide arbeiten für den MI5, den britischen Inlandsgeheimdienst. (Verwechselt jetzt bloß nicht MI5 und MI6 – MI6 ist das James-Bond-Ressort mit all den spektakulären Auslandsoperationen und den unbegrenzten Geldquellen. Zwar reist auch Liz ziemlich viel, vor allem in etwa zwei Stunden nach Paris mit dem Eurostar – aber ich kann mich nicht erinnern, dass sie jemals außerhalb Europas aktiv gewesen ist.) Und wegen Vollständigkeit: Liz tritt in der Öffentlichkeit meist unter dem Pseudonym Jane Falconer auf.
Wir sind definitiv in der Ära nach 9/11: Terrorismus, Selbstmordattentäter und Bombenangriffe auf prominente und belebte Ziele und deren Verhinderung gehören zum Alltag. Sobald sich Anzeichen für verdächtige Aktivitäten mehren, beginnen Liz und ihre Kollegen zu recherchieren und zu analysieren, verknüpfen alle möglichen Daten in ihren Datenbanken auf jede denkbare weise. Immer wieder haben es Liz und ihre Kollegen mit britischen Staatsbürgern zu tun, die zu islamischen Fanatikern konvertiert sind – und immer häufiger müssen sie komplexe Betrugsoperationen aufdecken und beenden, die insbesondere den islamischen Terrorismus oder einfach nur kriminelle Aktivitäten unter dem Vorwand der Spionage finanzieren sollen.
Liz arbeitet immer noch an vorderster Front und lebt mit vollem Risiko. Datenbanken sorgen zwar für Basisinformationen, aber detailliert geplante Überwachungsoperationen sind immer noch notwendig, um Kontakte von Zielpersonen und deren Netzwerke aufzudecken. Immer wieder führt dies aber auch zu verheerenden Erkenntnissen – besonders wenn ein Anschlag kurz bevorsteht oder ein Informant enttarnt wird und die MI5-Aktion mit einem Mal nach hinten losgeht.
Obwohl der Kalte Krieg Geschichte und die UdSSR zerbrochen ist, sind Russland und seine Nachbarstaaten mittlerweile überall aktiv und platzieren ihre Spione mit speziellen Aufgaben insbesondere auch in Großbritannien. Die Unruhen in Nordirland wurden zwar durch das Friedensabkommen beendet – offiziell gibt es aber immer noch genügend MI5-Agenten vor Ort. Im MI5 selbst tauchen immer wieder Maulwürfe auf… Liz kann nicht gerade sagen, dass es in ihrem Job langweilig zugeht – ganz zu schweigen von den alltäglichen Karriere-Intrigen.
Ich war erstaunt, als ich über das Arbeitsumfeld und Liz’ Kollegenkreis las, besonders da wir nicht mehr in den 50er oder 60er Jahren sind. Natürlich gibt es jetzt auch beim Geheimdienste Großraumbüros – die langsam die kleinen, privaten, heimeligen Wirkungsstätten ersetzen. Allerdings scheint es einigen Kollegen gelungen zu sein, ihren früheren Arbeitsstil zu bewahren. Ich denke an alte, auf Hochglanz polierte, verzierte Schreibtische, Perserteppiche, Sofas und Sessel…
Außerdem scheinen viele Absolventen von Oxbridge für MI5 bzw. MI6 zu arbeiten, die in ihrer Jugend eine Privatschule besucht haben – ein ziemlich elitärer Haufen in maßgeschneiderten Savile Row-Anzügen. (Ich fragte mich, warum sich solche gut situierten und gebildeten Menschen einem Geheimdienst anschließen. (In meinen Augen ist der Ruf ihres Tätigkeitsfelds eher gering….) Besonders der Männerclub scheint bei MI5 recht gut situiert zu sein – und es gibt weitaus mehr männliche als weiblich Kollegen. Liz muss immer für sich und ihre Ideen kämpfen, muss sich in ihrer beruflichen Rolle immer wieder behaupten.
Der MI5 ist nicht gerade einsam in der weiten Welt: Die CIA hilft oder behindert bei einzelnen Fällen, immer abhängig von den sehr persönlichen Interessen der USA. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit dem französischen Geheimdienst und den übrigen EU-Staaten. (Brexit ist bis jetzt noch kein Thema!) Besonders aber bei Begegnungen zwischen einem in den USA aufgewachsenen Collegeboy aus eher armen Verhältnissen und dem eleganten und stilsicheren Oxbridgeboy spielen sich manchmal recht denkwürdige Szenen ab, wenn der Brite zum Lunch in seinen klassischen, britischen Club einlädt. (Ich hätte nicht gedacht, dass diese Clubs, in denen Männer immer noch ihre Tageszeitung lesen und ihren Whiskey trinken heute noch existieren!)
Jedenfalls ist Spionage und Spionageabwehr immer noch ein hartes Geschäft mit beachtlichen Kollateralschäden. Manch ein Kollege von Liz wird zum Opfer – verletzt, tot. Die Rekrutierung von Informanten ist immer noch eine Hauptaufgabe, aber leider erwartet die meisten von ihnen ein tragisches Ende, auch wenn es MI5 bzw. MI6 nicht sonderlich schert, sobald ein Informant enttarnt ist. (MI5 und MI6 arbeiten notgedrungen zusammen, denn die meisten terroristischen Bedrohungen für Großbritannien werden im Ausland ausgeheckt.)
Der Spion bzw. der Informant bzw. der Verräter ist immer zum Scheitern verurteilt – da hat sich seit den 50er oder 60er Jahren nichts geändert. Liz ist oft nicht recht zufrieden mit dem Lauf der Dinge, aber sie kann nicht viel tun.
Liz ist Anfang dreißig, als die Serie beginnt. Sie ist selbstbewusst, intelligent, furchtlos und in der Lage und bereit, jede Art von Entscheidung zu treffen. Und sie sieht gut aus, obwohl ihr Privatleben ein Fiasko ist. Sie lebt eher wie eine Studentin in einer kleinen Wohnung, wo der Kühlschrank immer leer ist, die Waschmaschine inmitten von Haufen schmutziger Wäsche steht und immer mal wieder streikt. Es ist ein armseliges Privatleben, aber im Laufe der Jahre macht Liz Fortschritte: eine neue Wohnung, dann eine noch größere Wohnung, neue Möbel… Irgendwie ist Liz der Prototyp der modernen Karrierefrau in einer urbanen Metropole, die für ihren Job lebt und an nichts anderes einen Gedanken verschwendet.
Aber es gibt natürlich auch Männer in Liz’ Leben. Am Anfang bevorzugt sie kurzlebige Affären mit verheirateten Männern – irgendwie eine Frage der Sicherheit, weil sie nichts über ihren Job beim MI5 verraten darf und sich auch nicht festlegen möchte. Da wird es schon etwas leichter, als sie eine vorsichtige Affäre mit ihrem (verheirateten) Chef eingeht, die keine richtige Affäre ist, obwohl sich beide wirklich zugetan sind. Zum Schluss findet sie dann ihr Glück mit einem französischen Kollegen, aber das Schicksal schlägt zu, noch bevor die beiden klären können, wer von ihnen beiden seinen Job aufgeben wird. Liz ist am Boden zerstört. (Allerdings gibt es am Horizont schon einen Hoffnungsschimmer…)
Besonders in den letzten Romanen wird die Welt um Liz und uns alle herum viel düsterer. Spionage, Terror und Kriminalität vermischen sich. Russland wird immer aktiver und aggressiver – es gibt einen Informanten im Osten, der manchmal mehr Probleme verursacht als Nutzen bringt (mein Eindruck!). Ich bin sicher, dass es einen nächsten Roman geben wird, um diese Nebelschleier um ihn herum zu lichten. Liz wird hier in MI6-Aktionen verwickelt – und sie fühlt sich zunehmend unwohl.
In einer Rezension von Stella Rimingtons Romanen las ich kürzlich, dass die Autorin auf eine ziemlich klare und prägnante Art schreibt – keine poetischen Ausflüge in langatmige Landschaftsbeschreibungen o. ä. – was dem Rezensenten zu fehlen schien. Richtig. Die Abenteuer von Liz Carlyle sind nüchtern und bodenständig, aber auch riskant und fordernd. Stella Rimingtons Schreibstil passt dazu – und ich würde auch nichts anderes von einer ehemaligen MI5-Chefin erwarten.