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Lord Peter Wimsey rekelte sich wohlig zwischen den Laken des Hôtel Meurice. Nach den Anstrengungen bei der Lösung des Rätsels vom Battersea Park war er Sir Julian Freies Rat gefolgt und in Urlaub gefahren. Auf einmal war er es leid gewesen, allmorgendlich mit Blick auf den Green Park zu frühstücken; er hatte eingesehen, daß die Ersteigerung von Erstausgaben eine unzureichende Betätigung für einen Mann von dreiunddreißig Jahren war; und in London war alles überzüchtet, sogar die Verbrechen. Also hatte er Wohnung und Freunde verlassen und war in die Wildnis Korsikas geflüchtet. Drei Monate lang hatte er Briefen, Zeitungen und Telegrammen entsagt. Er war durch die Berge gewandert, hatte aus vorsichtiger Entfernung die wilde Schönheit der korsischen Bäuerinnen bewundert und die Vendetta in ihrer angestammten Heimat studiert.
…
Nun aber hatte der Ruf des Blutes Lord Peter eingeholt. Sie waren gestern abend spät mit einem miserablen Zug nach Paris zurückgekehrt und hatten ihr Gepäck abgeholt. Das Herbstlicht, das jetzt gedämpft durch die Vorhänge hereindrang, strich liebkosend über die Fläschchen mit den silbernen Verschlüssen auf dem Toilettentisch und umfloß die Umrisse einer elektrischen Lampe und des Telefons. Aus der Nähe verkündetet das Rauschen fließenden Wassers (w&k), daß Bunter das Bad einlaufen ließ und die duftende Seife, das Badesalz, den großen Badeschwamm, für den es auf Korsika keine Verwendung gegeben hatte, und die prächtige Bürste mit dem langen Stiel zurechtlegte, die einem so schön das Rückgrat massierte.
…
Es war ein herrliches Bad. Während er hineinsank, verstand er plötzlich nicht mehr, wie er auf Korsika hatte existieren können.
…
Zu seinem maßlosen Erstaunen sah er, wie Mr. Bunter seelenruhig das Toilettenköfferchen wieder packte. Ein zweiter erstaunter Blick fiel auf die übrigen Koffer, die – gestern Abend kaum geöffnet – bereits wieder gepackt und mit Anhängern versehen reisefertig dastanden.
«Nanu, Bunter, was soll das?» fragte Seine Lordschaft. «Wir bleiben doch vierzehn Tage hier.»
…
Statt einer Antwort reichte Mr. Bunter ihm die Zeitung, aufgeschlagen bei der Überschrift:
GERICHTLICHE VORUNTERSUCHUNG IM FALL RIDDLESDALE
HERZOG VON DENVER UNTER MORDVERDACHT
VERHAFTET.
Lord Peter starrte…
aus: “Diskrete Zeugen”
Ein Gentleman und Detektiv
Gibt es irgendjemanden unter euch, der noch nie von Lord Peter Wimsey gehört hat?
Der noch nie ein paar Folgen der Wimsey-TV-Serie gesehen hat?
Ich kann es mir eigentlich nicht recht vorstellen!
Zum Zitat möchte ich ergänzen: Der Herzog von Denver ist Wimseys älterer Bruder und somit der Erbe des Titels. Wimsey selbst ist nur „the spare”, was es ihm erlaubt, sich mit allem zu beschäftigen, was er mag, denn er hat keine Verpflichtungen. Natürlich eilt er an diesem Morgen sofort von Paris nach England, um seinen Bruder, seine Familie, die Ehre seiner Familie usw. zu retten.
Wenn ihr euch etwas ausführlicher über Wimsey und seine blaublütig-familiären Wurzeln informieren möchtet, besorgt euch die aktuelle Ausgabe von “Ein Toter zu wenig“; gleich zu Anfang findet sich ein langes Kapitel über die Familie und deren Mitglieder – aber nur in der deutschen Ausgabe.
Lord Peter Wimsey ist “The Gentleman Detective”. Dorothy L. Sayers schuf das Konzept eines finanziell unabhängigen, intelligenten Individuums, das nicht gezwungen ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, aber mit einer sehr guten Erziehung (wie Eton, Balliol College in Oxford) bedacht wurde, charmant ist, einer gehobenen Klasse zugehörig und mit einem unerschütterlichen Glauben an Gerechtigkeit sowie Recht und Ordnung ausgestattet ist. Er ist das literarische Vorbild für all diese (Hobby-)Detektive – ob in England oder Großbritannien, in Europa, in den USA oder anderswo.
Ich habe alle Romane gern gelesen, aber die Kurzgeschichten waren jenseits meines Horizonts. Nun, es gibt schon recht viele Kurzgeschichten über Wimsey und seine Aktivitäten… Ich bin der Meinung, dass ein Mord (oder mehrere!) immer einen Roman von mehreren hundert Seiten verdient, wo ausführlich über alles geschrieben wird. (Also vergessen wir auch hier irgendwelche Kurzgeschichten!)
(…und ich befasse mich auch nur mit den Originalromanen – es gibt da einige posthum entstandene Werke, die wohl auf Notizen der Autorin basieren… diese werden hier auch nicht betrachtet!)
Wimsey arbeitet natürlich nicht allein. Es gibt Bunter, der sich um alles im Haushalt kümmert und zusätzlich als technischer Spezialist bei der Analyse von Tatorten und Mordopfern tätig wird. Bunter diente während des Ersten Weltkriegs als Sergeant unter Wimsey; nach dem Krieg wurde er sein Butler.
Später gelingt es Wimsey, eine kleine Gruppe von „normalen”, aber außergewöhnlich begabten Leuten zu gewinnen, die für ihn und seine Detektei arbeiten. Diese Spezies ist in der Lage, sich zu verkleiden, zu ermitteln, Verdächtige und Zeugen auszuspionieren etc.
Obwohl Wimsey eine exzellente Ausbildung hat, ist er kein Experte für Verbrechen. Vor allem die Polizeiarbeit ist ihm eher fremd. Glücklicherweise gibt es Inspektor Charles Parker; Wimsey und Parker treffen sich bei Wimseys allererstem Fall und werden Freunde. Später trifft Parker Lady Mary, Wimseys Schwester, und sie verlieben sich und heiraten und leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Es ist keine standesgemäße Verbindung, aber offensichtlich kümmert sich in den Roaring Twenties niemand darum. Im übrigen war das Mordopfer im Falle des Herzogs von Denver Lady Marys damaliger Verlobter… Kurz gesagt: Wann immer Wimsey Hilfe und Informationen aus der Polizeiwelt braucht, ist Parker zur Stelle und hilft gern.
(Hier möchte ich noch anmerken, dass Sayers nicht nur den Prototypen des Gentleman Detective geschaffen hat, sondern auch die Vorlage für seine Entourage geliefert hat.)
Warum ist Wimsey denn nun eigentlich so sehr an Kriminalfällen interessiert?
Während des Ersten Weltkriegs wurde er lebendig in einem Bombenkrater begraben und litt unter einem psychischen Trauma, das ihn für Jahre nicht losließ. Erst während der Arbeit an seinem ersten Fall verschwanden die Alpträume – aber nur, um kurz nach Abschluss des Falls zurückzukehren. Bunter ist immer an seiner Seite, wenn die schrecklichen Ereignisse des Ersten Weltkriegs wieder in Wimseys Kopf auftauchen. Wimsey sah seine Rettung schließlich darin, sich der Aufklärung von Verbrechen zu widmen. Vor dem Hintergrund seines sozialen Status und seiner finanziellen Mitteln konnte er sich nur vorstellen, Privatdetektiv zu werden – und der nächste Fall, mit dem er sich beschäftigen musste, war der Mord, in den sein Bruder verwickelt war.
Außerdem gibt es noch Harriet Vane. Sie ist eine Verdächtige in einem Mordfall, aber Wimsey ist überzeugt, dass sie unschuldig ist. Natürlich verliebt er sich in sie, aber sie hält sich zurück, zögert… Es ist ein langer, steiniger Weg für Wimsey, bis er sie endlich heiraten darf. (Es gibt übrigens auch einen Roman, in dem Harriet fast allein – mit nur geringer Hilfe von Wimsey – ein Verbrechen in Oxford an ihrem ehemaligen College aufklärt.)
Wimseys Fälle sind immer knifflig, aufwendig und wirken künstlich. Der Mörder muss sehr entschlossen und vorausschauend sein, um alle Umstände und Beweise so zu manipulieren, dass… Auch braucht er immer eine gehörige Portion Glück. Die meisten Verbrechen in den Wimsey-Romanen sind nicht gerade alltäglich, auch wenn wahrscheinlich niemand von uns mit der adeligen Gesellschaft in den Roaring Twenties in England so vertraut ist, um eine realistische Bewertung vornehmen zu können.
Es gibt diese subtile Schwelle zwischen Verbrechen und Verbrechen zum Vergnügen. (Wenn jemand jemals Chandlers berühmtes Essay „Die simple Kunst des Mordes” gelesen hat, wird er/sie sofort wissen, worum es geht!) Alle Romane von Dorothy L. Sayers handeln von “Verbrechen zum Vergnügen”, auch wenn es den Anschein hat, dass die Mörder stichhaltige Motive haben. Kurz gesagt: Wir sind hier nicht in der Realität, sondern in einem fiktiven England… Trotzdem macht es einfach Spaß, abzuschalten und sich bei einem der Romane zu entspannen.
Denkt immer daran, dass die Wimsey-Romane fast hundert Jahre alt sind – dass sie in jener fernen Epoche geschrieben wurden. Vergesst einfach alles über Handies und Computer… und Forensik… Die Romane wirken altmodisch, vor allem was die scheinbar zementierten Grenzen der sozialen Schichten betrifft, aber Wimsey ist dennoch zum Prototyp des finanziell unabhängigen Privatdetektivs geworden, der es sich leisten kann, sich mit der Aufklärung von Morden zu befassen, weil er Zeit und kein anderes Hobby hat.