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Quelle: pixabay
Das kleine Büro sah nun schon etwas anders aus, als bei Maisies Einzug vor einem Monat. Der Schreibtisch stand jetzt schräg zu dem großzügigen Fenster, sodass Maisie von ihrem Platz aus den Blick über die Dächer der Satdt genießen konnte. Auf dem Tisch prangte ein modernes schwarzes Telefon, denn Lady Rowan hatte erklärt: „Im Geschäftsleben kommt man heute ohne Telefon nicht mehr aus. Das ist ganz einfach unverzichtbar.“ Maisie hätte der Apparat allerdings besser gefallen, wenn sein gebieterisches Klingeln etwas häufiger ertönt wäre. …
Dann nahm sie sich ihre handschriftlichen Aufzeichnungen vor; es war der Entwurf eines Berichts, an dem sie gerade arbeitete. Es handelte sich nur um einen unbedeutenden Fall, aber Maisie hatte von Maurice Blanche gelernt, wie wichtig es war, sich ausführliche Notizen zu machen. Während iher Lehrzeit hatte er ihr eingeschärft, man solle sich niemals nur auf das Gedächtnis verlassen, dürfe keine Einzelheit übersehen und müsse jede noch so kleine Beobachtung aufzeichnen. …
Wieder rieb sich Maisie den Nacken, schloss die Akte auf ihrem Tisch und streckte sich. Da zerriss das dröhnende Schellen der Türglocke die Stille.
aus: Maisie Dobbs – Das Haus zur letzten Ruhe
Eine scharfsinnige Frau
Als Maisie Ende des 19. Jahrhunderts geboren wird und im Arbeitermilieu aufwächst, um ihre berufliche Laufbahn als Hausmädchen zu beginnen, hätte sich niemand vorstellen können, dass Maisie einmal die Schule wieder besuchen und ihre Ausbildung an einem College in Cambridge beenden würde. Während des Ersten Weltkriegs, noch mitten im Collegeleben, wird sie Krankenschwester und arbeitet in Feldlazaretten an der Front in Frankreich.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und Abschluss ihres Studiums beginnt sie, für den außergewöhnlichen Ermittler Maurice Blanche zu arbeiten. Nach einigen Jahren gründet Maisie dann Anfang der 30er Jahre ihr eigenes Detektivbüro. Maurice ist inzwischen im Ruhestand, dennoch ist er für sie weiterhin der lebenslange Mentor. Obwohl eine Frau in dieser Branche zu jener Zeit revolutionär ist, lässt sich Maisie nicht beirren und macht einfach immer weiter.
Wie ist das alles passiert?
Die erst 13-jährige Maisie ist Hausmädchen, ganz weit unten in der Domestikenhierachie, in einem aristokratischen Haushalt in London. Lady Rowan, die Dame des Hauses, bemerkt ihr Interesse an Büchern und stellt fest, dass Maisie mit Intelligenz und analytischen Fähigkeiten gesegnet ist. Lady Rowan ist der feministischen Bewegung zugetan und beschließt, Maisie zu helfen. So eröffnen sich neue Möglichkeiten, und Maisie arbeitet hart, um all diese Herausforderungen zu meistern. Um ehrlich zu sein: Ohne die Hilfe und auch die finanziellen Mittel von Lady Rowan hätte Maisie wahrscheinlich keinen Erfolg gehabt.
Maurice, der ihr über die Schule und das College hinaus beibringt, wie man eine erfolgreiche Privatdetektivin wird, ist ein enger Freund von Lady Rowan und bekannt für seine hervorragenden Fähigkeiten in der Ermittlungsarbeit. Maisie ist eine gute Schülerin und beschließt, sich auf die Suche nach Vermissten zu spezialisieren, wobei sie betont, dass sie sehr diskret arbeitet. (Natürlich wird sie im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte in viele andere und weitaus gefährlichere Verbrechen sowie politische Intrigen und Geheimdienstoperationen verwickelt, als sie es sich je erträumt hätte).
Ihre Kunden sind wohlhabend – eigentlich immer. Das ist nicht ungewöhnlich, denn die Beauftragung eines Privatdetektivs ist teuer. Also geht es immer um Fälle in der oberen Mittelschicht und der unteren Oberschicht … oder noch exklusivere Gesellschaftsschichten. Maisie lebt und arbeitet in Großbritannien und hat es mit Lords und Ladies, “Sirs” und “Dames”, reichen Fabrikanten, Kaufleuten … zu tun. Ihr Ermittlungsschwerpunkt, vermisste Personen, betrifft viele Menschen. Sie beginnt in der Regel vorsichtig zu ermitteln und trifft dabei auch auf Menschen aus der Arbeiterklasse. Oft, sehr oft, entdeckt sie, dass es mehr Leichen im Keller gibt, als ihre Klienten zugeben möchten.
Maisie ist nach dem Ersten Weltkrieg aktiv, der Zweite Weltkrieg nähert sich unaufhaltsam und alle Menschen in ihren Fällen scheinen mit dem Krieg in Verbindung zu stehen. Zu viele Menschen starben während des Ersten Weltkriegs oder verschwanden einfach. Manchmal führen die grausamen Ereignisse des Ersten Weltkriegs im Nachhinein zu Verbrechen und sogar zu Mord, wenn es darum geht, unehrenhafte Taten der Vergangenheit im Dunkel zu belassen. Aber Maisie nimmt jede Herausforderung an, stochert in jedem vermuteten Geheimnis herum, bis alles wieder ans Tageslicht kommt. Ihre Fähigkeit, sich auf substanzielle Spuren zu konzentrieren, die oft nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind, und Fakten zu kombinieren, ist außergewöhnlich ausgeprägt.
Natürlich ist Maisie nicht allein. Schon bald stellt sie einen jungen Mann, Billie, ein, der verheiratet ist, Kinder hat und im Ersten Weltkrieg verwundet wurde, und ihr hilft, wann immer es nötig ist. Außerdem gibt es einen Inspektor von Scotland Yard, der seine Erkenntnisse insbesondere in Mordfällen gern mit ihr teilt. Und dann ist da noch ihr Mentor Maurice, der immer bereit ist, jeden Fall mit ihr zu diskutieren. Der enge Kontakt zu Lady Rowan und ihrem Mann, bei denen sie einst anfing, ist nicht abgerissen, so dass das aristokratische Paar seinen Status in der Gesellschaft nutzt, um Maisie Türen zu öffnen.
Maisie ist mit ihrem Berufsleben zufrieden und erfolgreich. Sie verdient ihren Lebensunterhalt, hat eine eigene Wohnung, mag schöne Kleidung und fährt einen schicken MG. … also: Wo ist der Mann, der Freund, der Liebhaber, der Ehemann …?
Während des Ersten Weltkriegs verliebt sie sich in einen Chirurgen, und er verliebt sich in sie. Leider wird das Feldlazarett angegriffen … Maisie überlebt zwar, aber ihr Geliebter wird schwer verletzt und kommt mit einem Hirnschaden zurück nach England, der eine ständige Betreuung erfordert. Maisie stattet ihm immer mal wieder einen Besuch ab, aber er lebt jetzt in einem anderen Universum.
Es gibt natürlich weitere Männer, aber Maisie kann sich nicht dazu entschließen, ihr Leben und ihren Job zu verlassen, was zu jener Zeit für eine verheiratete Frau unvermeidlich zu sein scheint. Ich gebe zu, dass ich nicht alle Romane gelesen habe, aber schließlich heiratet sie doch und verlässt ihre Detektei.
Leider stirbt ihr Mann kurz nach der Hochzeit und Maisie hat eine Fehlgeburt. Nach einigen Jahren im Ausland kehrt sie nach London zurück und nimmt ihre Tätigkeit als Privatdetektivin wieder auf. Es gibt einen neuen Liebhaber … Hoffen wir, dass sie endlich ihr privates Glück findet.
Der Hintergrund jeden Falls wird vom Ersten Weltkrieg geprägt und all den persönlichen Verlusten, die damit einher gingen. Auch die verlorene Generation junger Männer, ob tot, ob körperlich oder geistig behindert und die Wirtschaftskrise nach dem Krieg spielen immer wieder eine Rolle. Maisie trifft auf viele durch die Ereignisse betroffene Menschen, die zwar edelmütig und hilfsbereit sind, aber oft auch immer noch in tiefer Trauer leben. Es ist eine schwierige Zeit.
Es wird nicht besser, denn der Zweite Weltkrieg steht vor der Tür. Maisie wird tief in Geheimdienstoperationen verwickelt und gerät dabei in Lebensgefahr. Hoffen wir, dass sie den Zweiten Weltkrieg überlebt und danach wieder auf die Beine kommt.
Die Romane handeln von Verbrechen, zeigen aber auch persönliche Tragödien. Hinzu kommt die Tatsache, dass eine junge Frau in einem wesentlich von Männern dominierten Bereich arbeitet. Heutzutage … es ist etwa 80 – 90 Jahre her, als Maisies Fälle passieren, und ein rasanterer und lebendigerer Hintergrund scheint daher nicht angemessen. Allerdings ist Maisie im Vergleich zu ihrer Herkunft und ihrem gesellschaftlichen Leben in diesen Jahrzehnten zu einer sehr modernen und selbstbewussten Frau herangewachsen.