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Quelle: pixabay
Es war gegen elf Uhr morgens, Mitte Oktober, ein Tag ohne Sonne und mit klarer Sicht auf die Vorberge, was klatschkalten Regen verhieß. Ich trug meinen kobaltblauen Anzug mit dunkelblauem Hemd, Schlips und Brusttaschentuch, schwarze Sportschuhe und schwarze Wollsocken mit dunkelblauem Muster. Ich war scharf rasiert, sauber und nüchtern – egal nun, ob’s einer merkte. Ich war haargenau das Bild vom gutgekleideten Privatdetektiv. Ich wurde von vier Millionen Dollar erwartet.
aus: Der große Schlaf
Ein einfacher, cooler Privatdetektiv in Los Angeles
Als Raymond Chandler begann, seine Romane über Philip Marlowe, einen Privatdetektiv in Los Angeles, zu schreiben, hatte er sicher einen anderen Privatermittler im Sinn – zumindest glaube ich das. Es war Sam Spade, der berühmte Privatdetektiv aus Dashiell Hammetts Feder, der in San Franzisko lebt und durch die Jagd auf den Malteser Falken berühmt wurde, während er eigentlich den Mörder seines Geschäftspartners suchte. Beide Autoren entwickelten und prägten den Stil der hard-boiled novel. Raymond Chandler setzte Dashiell Hammett und seinem hard-boiled style in seinem immer noch aktuellen Essay Die simple Kunst des Mordens ein Denkmal, während er Stil und Regeln natürlich in seine Romane integriert.
Ich (schwarz-weiß und felin) will gleich hier darauf aufmerksam machen, dass mich meine Mitbewohnerin natürlich nach Philip Marlowe nannte, einem ihrer liebsten Krimi-Serienhelden. Wir lieben es beide immer wieder, die Marlowe-Romane alle paar Jahre noch einmal zu lesen. Die Romane sind zeitlos und scheinen auch nach mehr als 60 … 80 Jahren keinen Staub angesetzt zu haben – und natürlich sehen wir uns auch ganz gern noch einmal den Film mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall an. Bogart ist für mich sowieso der ultimative Philip Marlowe aller Zeiten.
Vor nicht allzu langer Zeit schrieb ich über die Serie von Maj Sjöwall und Per Wahlöö mit Martin Beck, dem Leiter der Stockholmer Mordkommission. Während Sjöwall/Wahlöö die hard-boiled novel für Polizistenromane neu erfanden und die Messlatte für Krimis, vor allem aus Skandinavien, recht hoch legten, ebnete Raymond Chandler mit Philip Marlowe den Weg für den modernen, realistischen Privatdetektiv und etablierte das Vorbild schlechthin.
Philip Marlowe, in seinem ersten Fall 33 Jahre alt, ist gereift durch seine Erfahrungen und Enttäuschungen. Er weiß, dass es mehr Böses unter der Sonne Südkaliforniens gibt, als man sich träumen lässt, und er ist entschlossen, alle seine Fälle immer zu seiner eigenen Zufriedenheit aufzuklären. Das bedeutet nicht unbedingt, dass am Ende des Tages die Gerechtigkeit siegt. Es macht Marlowe zynisch und er ertränkt seinen Frust oft in Alkohol. (Nun – ja: damals haben alle Leute viel geraucht und viel getrunken – und niemand hat sich offensichtlich darum gekümmert, wenn sich jemand nach einigen Whiskeys oder Longdrinks oder Cocktails hinters Steuer setzte und nach Hause fuhr).
Auf eines kann man sich immer verlassen: Wenn Marlowe einen Fall übernimmt, wird er alles daran setzen, um seine Mission zu erfüllen. Er wird an seine persönlichen Grenzen gehen, ohne an seine finanzielle Entlohnung zu denken. Selbst wenn sein Auftraggeber versucht, ihn aufzuhalten, wird er nicht ruhen, bis er die ganze Wahrheit ans Licht gebracht hat.
Meistens fängt alles ganz einfach und scheinbar harmlos an: jemand ist verschwunden, vielleicht schon seit ein paar Jahren. Ein Schmuckstück wird vermisst. Erpressungsbriefe liegen im Briefkasten. Eine Tochter gerät in schlechte Gesellschaft. Doch bald tauchen hier und da Leichen auf, und alles geht mit einem Mal rasant den Berg runter. Auch erfahren wir bald, dass es da noch mehr gibt, weitere Geheimnisse, an die sich niemand erinnern will, was niemand zugeben will … Ich meine damit, es gibt weitere Taten, die gut versteckt ruhten, bis Marlowe anfängt, im Familiensumpf herumzustochern.
Marlowe arbeitet wie ein klassischer Detektiv. Er trifft Menschen, plaudert mit ihnen, verfolgt sie, beobachtet sie. Wenn er wissen will, wer der Besitzer eines Autos ist, schaut er einfach hinter die Sonnenblende und liest die Zulassung; kein Auto scheint damals verschlossen worden zu sein. Es gibt noch keine Mobiltelefone, es gibt erst recht kein Internet, es gibt auch keine CSI-Berichte. Natürlich kümmert sich Marlowe um Fingerabdrücke und alle kleinen Gegenstände, die aus Hand- oder Hosentaschen unbeabsichtigt herausfallen könnten. Es ist alles recht altmodisch, aber man vermisst die modernen Spielsachen nicht wirklich.
Chandler schreibt eine straffe, knappe Prosa, immer sehr genau, und lässt uns alle entscheidenden Details wissen. Es ist leicht, Marlowe zu folgen, wenn er durch die Boulevards und Canyons von Los Angeles streift, obwohl die Romane nicht mit zu viel ermüdender Ortskenntnis gefüllt wurden. Alle Straßen in Los Angeles tragen immer noch den gleichen Namen, was jeder Tourist, der auf Marlowe Spuren wandelt, sicher begrüßt – außer, dass es nicht so viel Verkehr wie heute gab und Marlowe immer einen Parkplatz fand. (Ich habe so etwas auch mal gemacht, als ich in den 80er Jahren zum ersten Mal in Los Angeles war).
Warum töten Menschen andere Menschen?
In seinem Essay charakterisiert Chandler die hard-boiled novel: Ein Hauptmerkmal ist, dass Menschen aus einem echten Grund morden. Mord ist kein Zeitvertreib, keine Belustigung. Mord geschieht nicht an einem Wochenende in der English Countryside inmitten gelangweilter Figuren des Establishments, die von einem Polizeikommissar unterhalten werden müssen.
Marlowe trifft auf Reiche und Arme, Schwache und Mächtige; jedes Verbrechen hat seine spezifische Geschichte, die Jahre zurückreichen kann. Die Menschen sind gemein, naiv, hinterhältig, entwickeln Beschützerinstinkte – und alle glauben, dass sie mit Mord oder was auch immer sie getan haben, davonkommen werden. Vielleicht würde es sogar klappen, aber da ist dann Marlowe …
Es gibt noch eine ganze Reihe Kurzgeschichten und Erzählungen; einige beschreiben Ereignisse, die später in den Romanen verarbeitet werden. Ich habe diese Erzeugnisse nicht in das Profile aufgenommen, weil ich denke, dass gerade Marlowe immer einen richtigen Roman verdient.
Außerdem: Als Chandler starb, arbeitete er an seinem 8. Roman. Leider konnte er sein Buch nicht fertigstellen. Auf Basis seiner Ideen wurde der 8. Roman später von einem anderen Autor fertiggestellt. Auch dieser Roman ist nicht Teil des Profile.